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Freiheit und Gnade

Von Peter Lippert SJ

Der natürliche Aufbau des Menschenwesens mit all den Anlagen und Kräften, die ihn bestimmen, ist durch die Erbsünde nicht erschüttert worden. Das ist ein Grundpfeiler der katholischen Theologie von gewaltiger Tragkraft. Wir sind also selbst nach dem tiefen Falle des ganzen Geschlechtes noch im Besitze der sittlichen Freiheit, die uns zu Herren unserer Entscheidung über gut und böse macht. Selbst in der Ferne unserer Verbannung aus dem Paradies, im Tale des Todes und in der Armut unserer Gottentfremdung blieb uns doch dieses kostbare Juwel unserer naturnotwendigen Ausstattung. Wenn uns aber die Sünde die Freiheit nicht nehmen konnte, wird Gott sie gewiss nicht antasten. Was die Sünde nicht zerstört, das wird die Gnade erst recht unversehrt lassen. Soweit sie erhebend und neuschaffend, verklärend und vergöttlichend wirkt, kann sie ja gar nicht unsere Freiheit berühren, da sie nicht an die Stelle unserer Natur tritt, sondern sie nur höher trägt zu Gott empor. Soweit aber die Gnade eine heilende und helfende Arbeit leistet, ist es ihr Zweck nicht, die Natur in ihren Grundbestandteilen zu ändern, sondern nur die Mängel und Lücken auszugleichen, die Wunden zu stillen, die durch die Sünde verursacht wurden. Die Freiheit aber ist nicht ein Mangel oder eine Wunde unseres Wesens, sondern eine seiner Grundkräfte, sein schönster Besitz, seine volle und starke Wirklichkeit.

So bleibt denn die Freiheit auch bestehen gegenüber der Gnade, und damit sind wir vor den Toren eines erschreckendes Geheimnisses angekommen: die Seele kann die Gnade Gottes bereitwillig aufnehmen, kann sie aber auch zurückstoßen. Wenn eine Gnade zu der ihr bestimmten Wirksamkeit gelangt und die Seele hinaufträgt auf die Höhe einer heiligen Tat, dann ist es der günstigen Entscheidung der Seele selbst zu danken, dass die Gnade nicht um ihre Wirksamkeit gebracht wurde. Darum das Warten, Mahnen, Drängen Gottes, der die Seele zur Entscheidung aufruft: „Sei eifrig und tue Buße! Siehe, ich stehe vor der Türe und klopfe an. Wenn jemand meine Stimme hört und mir die Türe auftut, werde ich eingehen zu ihm und mit ihm Abendmahl halten und er mit mir“ (Offb. 3,19 f). Die Seele kann die Türe aber auch verschlossen halten. Eine Gnade, die der Seele volle Möglichkeit und Bereitschaft zum Guten gäbe, kann ungenützt und unwirksam bleiben, nicht aus einem Ungenügen der Gnade, nicht durch irgendein äußeres Verhängnis, sondern aus eigenster unseliger Entscheidung des Menschen, dem die Gnade sich darbietet. Erschütternd klingen die Klagen Gottes in den heiligen Schriften über verschmähte und missbrauchte Gnade, über das furchtbare „Vergebens“, zu dem Menschen und Völker das Rufen und Wandern und Suchen der göttlichen Liebe verurteilt haben. „Ein Weinberg gehörte meinem Geliebten auf einer fetten Höhe. Und er umzäunte ihn und las die Steine aus ihm und bepflanzte ihn mit erlesener Rebe und baute einen Turm in seiner Mitte und errichtete eine Kelter und erwartete nun Trauben und er brachte – nur Herlinge.... Was hätte ich meinem Weinberge noch tun sollen, das ich ihm nicht getan? ... Der Weinberg des Herrn der Heerscharen ist Israel, und die Mannschaft Juda ist sein Wonnegarten. Und ich habe erwartet, dass sie üben Rechtshut, aber siehe da – Blutschuld; ich habe erwartet ein Schlichtwort, aber siehe da – Schlachtruf!“ (Is. 5, 1.2.4.7) Sieben Jahrhunderte später, in der entscheidenden Gnadenstunde dieses Volkes, erhob Gott abermals – zum letzten Mal – seine Klage, um all die verlorene Gnade: „Jerusalem, Jerusalem, das du die Propheten mordest und sie steinigest, die zu dir gesandt werden, wie oft wollte ich deine Kinder versammeln, wie eine Henne ihre Küchlein unter ihre Flügel sammelt, du aber hast nicht gewollt!“ (Matth. 23,37) Und „Jesus weinte, als der die Stadt sah“ (Luk. 19,41). Die Tränen vergeblicher Liebe aber werden zu einer furchtbaren Anklage, zu einem Weheruf wider den Schuldigen: „Wehe dir, Korazin, wehe dir, Bethsaida! Wenn in Tyrus und Sidon die Wunder geschehen wären, die in dir geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan. Aber ich sage euch, Tyrus und Sidon wird es erträglicher ergehen am Tage des Gerichtes als euch“ (Matth. 11,21 f).

So wäre denn die gleiche Gnade, die in den begünstigten Städten Galiläas wirkungslos verhallte, in den Heidenstädten zur Wirksamkeit gelangt. Der Same, der im Erdreich der einen Seele zertreten wurde oder langsam verkümmerte, hätte in einem anderen Erdreich hundertfältige Frucht getragen. So wird Christus dem einen zum Fall, dem anderen zur Auferstehung. Zwei Verbrecher hingen sterbend am Galgen und in ihrer Mitte war das Heil der Welt aufgerichtet, und doch ward es nur dem einen von ihnen zur Verheißung des Paradieses. Ja auch der gleichen Seele kann die gleiche Gnade heute zur Schuld an missbrauchter Gottesliebe werden, und morgen den Segen seligen Lebens bedeuten – beides durch den rollenden Würfel ihrer eigenen Entscheidung.

Das kirchliche Lehramt hat niemals geschwankt in der Verkündigung, dass die sittliche Freiheit des Willens bestehen bleibt auch unter dem Einfluss der Gnade, sowohl der wirksam und fruchtbar gewordenen als der nutzlos vergeudeten Gnade. Das Konzil von Trient beschreibt den Weg des Menschen, der von dem Stande der Sünde zur Rechtfertigung sich erhebt, und weist dabei sowohl dem Wirken der Gnade wie dem Mitwirken des Menschen ihre gleich notwendige und unersetzliche Bedeutung zu: „Der Anfang der Rechtfertigung Erwachsener ist zu suchen in der Gnade Gottes, die ihnen durch Christus Jesus im voraus zuteil wird, ohne irgendwelches eigene Verdienst. So werden die Menschen, die durch ihre Sünden von Gott getrennt waren, durch seine aufweckende und helfende Gnade vorbereitet auf ihre Rechtfertigung, wenn sie hierbei der Gnade freiwillig zustimmen und mit ihr mitwirken. Bei dieser Berührung, mit der Gott das Herz des Menschen trifft durch das Licht des Heiligen Geistes, bleibt also der Mensch einerseits nicht ganz untätig – er nimmt ja jene göttliche Anregung auf, während er sie doch auch abweisen könnte – , aber andererseits ist er auch unfähig, ohne die Gnade, durch eigenen freien Willen zur Gerechtigkeit vor Gott zu gelangen“ (Sitzung 6, Kap. 5). Und nach dem Vatikanischen Konzil „könnte der Mensch der Gnade Gottes Widerstand leisten, gewährt ihr aber, indem er den Glauben annimmt, seine Zustimmung und Mitwirkung“ (Sitzung 3, Kap. 3).

Es hängt also nur von der Menschenseele selber ab, ob der Strom lebendigen Wassers, der von Gott zu ihr kommt, in sie eindringt oder mit zornig schmerzlichem Aufrauschen vor ihr haltmacht und umkehrt. Pforten sind da gebaut, die der Mensch allein öffnet und schließt, jede Seele für sich und für immer. Kein Wesen im Himmel und auf Erden vermag sonst an diese Tore zu rühren, denn Gott selber berührt sie nicht; die unantastbare Souveränität des Menschen liegt in der Verfügung über diese Pforten: ihre Schlüssel sind in seine Hand gelegt. An den Pforten seiner Seelenburg sitzt als König und Richter der freie Mensch.

Gott rührt die Pforten, die in eine Seele führen, nicht an; aber er spricht zu ihr, dass sie selber öffne oder schließe, er belehrt und erleuchtet, er mahnt und warnt; Gott wirkt nur von innen her, vom Innern seiner Sache aus, für die er wirbt durch deren eigene inwendige Vernunft und Güte. Es liegt ihm nichts daran, die Pforten mit Gewalt zu stürmen und zu zerbrechen. Selbst seine Drohungen sind nicht etwas Äußeres: er spielt nicht ein Gut für ein anderes aus, wie wir Menschen es machen und wie wir es auch ihm gerne zutrauen und zumuten möchten; das wäre eine Art Erpressung. Alle seine Gebote und Verbote, seine Rufe und seine Drohungen kennen nur einen Beweisgrund: „Siehe, ich bin es, ich, dein Gott!“ Weil er es ist, sollen wir ihm öffnen, er, Jahwe, der Herr, der Heilige, der Gute; weil er es ist, sollen wir ihn nicht verlieren: Ich bin der Herr, dein Gott, und es sind keine Götter außer mir. Er lockt nicht mit andern Gütern, als er selber ist, er droht nicht mit andern Schäden und Verlusten, als eben sein Verlust ist, des einzig Guten. Er, der Schöpfer, kann und will nicht als Mittel zu einem Ziele dienen, das außer ihm liegt.

Was Gott nicht anrührt, soll auch der Mensch unangetastet lassen – heilig sei ihm die Freiheit der Seelen! Freilich, die Pforten ihrer fürstlichen Freiheit kann ja keine Kreatur unmittelbar berühren, sie sind entrückt aller Gewalt, aller Pein, allem Todesdrohen, aller Nötigung. Und ein zu Tode gepeitschter Sklave kann so königlich frei bleiben wie ein betender Heiliger. Aber wir können Einladungen und Botschaften und Kundgebungen und Verheißungen an die Seele richten, auf dass sie selbst ihre Tore öffne oder schließe, wie es eben unser Wunsch und Begehren ist. Wir können gleich Gott um die Seele werben von innen heraus, von dem Innern der Sache, der Beweggründe, der Notwendigkeiten aus, von dem Innern ihrer Vorstellungen und Gedanken aus, die wir in ihr aufwecken. Doch was Gott verschmäht, das soll auch uns nicht anstehen, das sei auch unser unwürdig – mit Erpressung auf die Seelen zu wirken, mit brutaler Furcht, mit tierischem Schmerz, mit seelischer Not. Es sei auch unser unwürdig, ein Ding für ein anderes auszuspielen, die niederen Nöten und Begierden des Menschen um Speise und Trank, um Licht und Luft, um Wohlsein und Ehre, um Fortkommen und Glück auszunützen, um die Pforten seines Willens einzudrücken für ein höheres Gut, und wäre es auch für Gott. Denn Gott will nicht durch Tore gehen, die ihm nur der Hunger und Durst, Geißelschläge oder Folterangst geöffnet haben.

Je zarter und heiliger die Ehrfurcht ist, die Gott und alle vornehmen Menschen vor der Freiheit der Seele haben, um so furchtbarer ist nun auch die Verantwortung, die auf der geheimnisvollen Herrscherin in den Höhen des Seelenlebens ruht. So innerlich und so lauter das Wirken Gottes auf die freie Seele ist, so selbsttätig und so rastlos muss die Seele aus eigenster Verantwortung heraus diesem keuschen Wirken Gottes entgegen kommen; weil die Gnade so vornehm und ritterlich ist, darum muss auch der Mensch ebenso feinfühlig und feinhörig sein für ihr Rufen und Winken. Darum eben muss er stets bereit und wachsam mit brennender Lampe harren auf den Herrn, gleich der Jungfrau, die den Bräutigam erwartet. Die Lebenswasser des Heiligen Geistes werden nicht sparsam gegeben, sie umringen uns und stauen sich an unserer Herzenstüre in jedem Augenblick; aber sie fluten auch im Augenblick wieder ungenützt zurück, wenn sie nicht offenen Eingang finden. Die Gnade ist etwas Eilendes, und ihre Stunde kann leicht übersehen und versäumt werden. Mit scharfen Sinnen und weit offenen Augen heißt es darum wachen und warten, denn „ihr wisset nicht, zu welcher Stunde euer Herr kommt“ (Matth. 24,42).

Versuchen wir nun den Eintritt der Gnade in die Seele und ihre Einfügung in die Bewusstseinsvorgänge zu beschreiben! Unaufhörlich steigen seelische Gebilde, Vorstellungen, Gedanken, Gefühle empor aus den unbewussten Tiefen des Seelenlebens. Die Bestandteile dieses psychischen Stromes sind nicht voneinander gesondert oder abgelöst, sondern eingebettet in das fließende Geflecht der sich gegenseitig schiebenden und verdrängenden, verstärkenden oder hemmenden Gebilde. Immer aber bildet eines von ihnen den hell beleuchteten Kern des ganzen Bündels, es steht im Blickpunkt des Bewusstseins, wenigstens für kurze Augenblicke. Das ganze Bündel ist ein Werk und Erzeugnis der Seele und ihrer Kräfte, aber der vom Lichtstrahl des Bewusstseins getroffene Kern kann noch in einem ganz besonderen Sinne der Seele zu eigen werden, oder vielmehr die Seele kann ihn noch enger und inniger sich zu eigen machen. Denn in einem bestimmten Punkte der Entwicklung nimmt sie in einer unbeschreiblichen und unerforschlichen Weise Stellung zu jenem Kerngebilde und fällt darüber ein höchstes Werturteil: sie bekennt sich entweder zu diesem Ereignis in ihr, erklärt sich eins mit ihm und haftbar dafür, nimmt es damit auf in ihr innerstes Heiligtum, zieht es hinein in ihre Mitte und hinauf in ihre beherrschende Höhe, oder sie stößt es zurück, weist es gleichsam von sich weg, wendet sich davon ab. Diese Aufnahme oder Ablehnung nun ist allein die entscheidende, sittlich gefärbte, gute oder böse Tat des Menschen. Und alle inneren und äußeren Ereignisse mit ihren Entwicklungen und Verwicklungen, mit ihren Wirbeln und Dunkelheiten, die unabhängig von diesem Entscheid sich vollziehen, unterliegen nicht dem Herrschaftsbereich des sittlichen Willens.

Es kann aber sein, dass dieser Entscheid mit seinem seelischen Stoß, den er mit sich führt, wieder zurück wirkt auf das ganze seelische Bündel, auf dessen Kern der Entscheid ging; und es kann sein, dass daraufhin der ganze Strom in seinen Teilen umgestaltet, verschoben und abgelenkt wird. Die vom Willensentscheid getroffene Regung kann ein besonderes Übergewicht oder eine besondere Hemmung erfahren und vermag nun einen Wirbel von noch andern Vorstellungen, Gefühlen, Tatregungen und sich anschließenden Gedanken um sich herum zu erregen. So sind wir imstande, im Lauf des Lebens eine sehr geschickte Kunst auszubilden, durch unsere willkürlich freie Aufnahme oder Ablehnung eines Bewusstseinsgebildes Einfluss zu üben auf die Gestaltung und den Ablauf unseres Seeleninhaltes: und so wird auch dieser Einfluss mit einbezogen in den Bereich unseres sittlichen Entscheides. Es können also seelische Gebilde schon in ihrem Entstehen und in ihrem Verlauf unter unserer sittlichen Verantwortung stehen; andere, und sie bilden wohl die überwiegende Mehrzahl, steigen ungerufen und aus eigenen unbewussten Gesetzen empor und werden erst im Verlauf ihrer Wanderung durch den Bewusstseinskreis getroffen von der Wertung des freien Willens, der sie entweder mit liebender Hand hinein nimmt in die Verantwortung des persönlichen Ich, oder hinaus wirft als Ausgeburten, die man nicht will, für deren Dasein man nicht haftet.

Eine ähnliche Stellung kann nun auch Gott einnehmen zu den Lebensregungen der Seele. Er kann sie durch seinen unmittelbaren Anstoß in den unbewussten Seelentiefen hervorrufen; er kann weiterhin die in der Seele entstandenen Gebilde aufnehmen in seine Vaterliebe, in sein heiliges Eigen; er kann sie einfach liegen lassen und wie achtlos daran vorübergehen; er kann sie auch, falls sie etwa böse Willenstaten sind, verurteilen und verstoßen. Im ersten Fall wird das seelische Gebilde zu einem göttlichen Lebenswerk, das Gott gehört, das im Lichtschein seiner persönlichen Liebesneigung steht; es wird zu einer Gnade Gottes, weil seine freie Huld und Gunst darüber ausgegossen ist. Und diese Ausgießung des göttlichen Liebesgeistes kann schon vor der entscheidenden Stellungnahme des Menschen selbst geschehen, schon in den allerersten Ursprüngen des seelischen Gebildes, so dass es noch eher Gott als dem Menschen gehört, und schon in göttliche Würde und heiligen Liebreiz gekleidet vor den Richterstuhl des menschlichen Willens tritt. Das ist die zuvorkommende, entgegenkommende, aufweckende, rufende Gnade. Wird dieses von Gott getragene Gebilde nun aufgenommen von dem richtenden Willen, dann gibt er seine Mitwirkung, die der Gnade zu ihrer Wirksamkeit und Fruchtbarkeit verhilft; es geschieht das Wunder, dass Gott und die Seele in holder Liebeseinheit, in dem gleichen süßen Mein sich begegnen und umfangen. Wird aber das Gebilde, zu dem Gott sein liebendes Mein sprach, vom Willen abgelehnt, dann ereignet sich das Furchtbare, dass Gottes eigenes Selbst verstoßen wird.

Das größte und undurchdringlichste Rätsel, das für uns in der Tatsache der Willensfreiheit liegt, ist ihr Bestand und ihre Vereinbarkeit mit der alles durchdringenden und beherrschenden Ursächlichkeit Gottes. Wir können da freilich sagen, der Allursächlichkeit Gottes kann unsere freie Entscheidung keinen Eintrag tun, weil sie ja geschöpfliches Wirken ist, das auf keine Weise in den Bereich und die Höhe des göttlichen Tuns hineinreicht. Sie ist und bleibt etwas Abgeleitetes, Nachgebildetes, und kann also den Glanz der Krone Gottes so wenig verdunkeln, wie das Spiegelbild die Wirklichkeit trübt, und so wenig der Frühlingszauber den Sonnenschein hindert. Jedenfalls aber wird dieses Rätsel unserer Freiheit nicht wesentlich verschärft, wenn sie auch dem Gnadenwirken Gottes gegenüber bestehen bleibt. Denn die Gnade liegt nicht auf der Linie einer gesteigerten Oberherrschaft Gottes, sondern in der Richtung einer neuen Art von Selbsthingabe und Liebesgesinnung.

Dagegen ist es für unser Vorstellen sehr schwierig, die sieghafte Macht der göttlichen Gnade, die mit unfehlbarer Sicherheit den Ratschlüssen Gottes dient, vereinbar zu sehen mit Entscheidungen, in die Gott nicht bestimmend eingreift, die ihm also wie gegebene Tatsachen vorliegen, die nicht einmal eingegliedert sind in die Kette ursächlicher Notwendigkeit, und darum auch nicht aus den vorausgehenden Gliedern dieser Kette errechnet werden können. Diese Schwierigkeit ist aber doch eine echt und bloß menschliche. Wir denken Gott zu klein, wenn wir ihn gleichsam warten lassen auf die Entscheidungen des souveränen Menschenwillens, zagend und ungewiss, welche Maßnahmen er zu treffen hat, je nachdem diese Entscheidung ausfällt. Gott braucht nicht auf uns zu warten, auch nicht in Gedanken, denn alle Dinge und Zeiten liegen immer offen vor seinem Auge. In seinem ewigen Heute ist er gegenwärtig jedem zukünftigen Morgen und jeder Entscheidung, die irgendeine Kreatur in unabsehbar weit sich hinziehenden Weltaltern treffen wird und treffen kann. Die menschliche Entscheidung ist auch nur ein Glied in den Ursachenreihen, die er selbst ordnet und feststellt: je nach der Stelle, an der sie eingefügt ist, bestimmt sie die Reihe in allen folgenden Gliedern. Aber Gott, der außer und über der Reihe steht, hat es stets vollkommen in seiner Hand, welche Art und Zahl von Gliedern er in die Kette eintreten lässt und in welcher Reihenfolge er sie einfügt. Die Freiheit des menschlichen Willens nimmt ihm nicht die Möglichkeit, zu bestimmen, welche Entschlüsse der Menschen zustande kommen und welche im Bereich der bloßen Möglichkeit gehalten werden sollen. Vor seinem Blick stehen ungezählte Möglichkeiten von Licht- und Kraftströmen, die er aussenden kann, dass sie um die Herzen werben, und deren Werbung in der Tat nicht umsonst sein wird, wenn er nur sich entschließt, sie zu senden. Für jede Seele und jeden Augenblick und für alle denkbaren Umstände ihres Lebens stehen ihm ganze Heerscharen seiner Gnadeneinflüsse zu Gebote, für die er die Pforten einer jeden Seele offenstehen sieht. Er braucht sie nur zu senden, und die Seele wird in voller Freiheit seinen vorausbestimmten Willen tun.

Für Gott ist also die Bewegung der heiligen Pforten des freien Willens nicht unerforschlich und nicht unberechenbar, obgleich er sie nicht berührt. Er ist jedem Augenblick, da sie in ihren Angeln stehen und schwingen, gegenwärtig: er kennt für jeden Zeitpunkt das Schlüsselwort, auf das hin auch die eigenwilligsten aller Pforten sich öffnen und schließen, und er kann durch sie aus- und eingehen, wie es ihm gefällt. Dabei bleibt nun allerdings bestehen, dass er in seinen Ratschlüssen Rücksicht nimmt auf die eigene Entscheidungsfähigkeit des menschlichen Willens; aber diese Rücksicht nimmt er allen seinen Geschöpfen gegenüber, wenn er ihrem Wesen, wie er selbst es grundgelegt und bestimmt hat, nicht Gewalt antut. Sie alle mögen je nach ihrer Eigenart sich auswirken, und er sieht dem mit Herrschergewissheit zu, weil er eben selbst gewollt hat, dass sie sich auswirken. Gerade so wird ja das oberste aller Weltgesetze erfüllt: „Alles, was er will, das tut er, im Himmel und auf Erden.“ (Ps. 134,6)

Es handelt sich bei diesem Text um ein Kapitel aus dem Buch von Peter Lippert SJ Die Gnaden Gottes, Freiburg im Breisgau 1921


Hl. Edith Stein: Können, Sollen und inneres Leben


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Aus: Christian Schaller (stellvertretender Direktor des Instituts Benedikt XVI.), Im Menschen berühren sich Himmel und Erde, in: welt & kirche #09

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